Statussymbol der Industrie
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Rauchende Kamine waren einst ein Statussymbol. Vor 150 Jahren zeigten sie schon von weitem an, dass eine Gemeinde modern und prosperierend war. Sinnbildlich standen sie für die Industrialisierung. Denn im Gegensatz zu den Maschinen, die hinter Fabrikmauern verborgen blieben, waren sie weithin sichtbar.
Die heute noch erhaltenen Kamine entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Industrie am linken Seeufer einen starken Aufschwung erlebte. Er war direkt mit der Dampfkraft verbunden. Sie trieb nicht nur die Maschinen an. Sie ermöglichte es auch, die produzierten Güter effizient zu transportieren: Zunächst mit Dampfschiffen auf dem See, ab 1875 auch per Eisenbahn. Die Anbindung an das Bahnnetz war für den industriellen Aufschwung matchentscheidend.
Dampf und Wasserkraft
Die Standorte der Industrie am linken Seeufer waren nicht vom Zufall bestimmt. Fabriken siedelten sich dort an, wo Wasserkraft verfügbar war. Von der Sihl in Adliswil und Langnau über den Mühlebach in Horgen bis zum Reidbach in Wädenswil entstanden seit den 1830er-Jahren Fabriken an Gewässern. Sie alle nutzten die Wasserkraft – so wie es Mühlen schon seit Jahrhunderten taten.
Doch die Kraft des Wassers war begrenzt. Die Bäche, die vom Zimmerberg in den Zürichsee fliessen, führen zu wenig Wasser, um hohen Druck aufzubauen. Und die Sihl hat eine niedrige Fliessgeschwindigkeit und wenig Gefälle. So versprachen leistungsfähige Dampfmaschinen mehr Effizienz und eine Produktionssteigerung. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden auf den grossen Industriegeländen Dampfzentralen, von denen aus über Transmissionsriemen die Maschinen auf dem ganzen Areal angetrieben wurden. Selbstredend gehörte ein markanter Hochkamin dazu.
Zeugen der Industrialisierung
Gut sichtbar sind diese Symbole der Industrialisierung noch heute auf einem Spaziergang in Wädenswil. Entlang des Reidbachs siedelten sich zwischen dem Reidbach-Weiher und der Giessen-Halbinsel, wo der Bach in den See mündet, verschiedene Industrien an. Vom heutigen Campus der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften führt der Weg an den Kaminen der ehemaligen Tuchfabrik Wädenswil (Tuwag) und der früheren Brauerei vorbei bis zur Halbinsel Giessen, wo sich das Kamin der einstigen Textilfabrik Pfenninger befindet.
Nicht überall blieben die Hochkamine erhalten. Als der wirtschaftliche Wandel ab den 1970er-Jahren ganze Industrien zum Verschwinden brachte, galten die Hochkamine als Sinnbild für die Vergangenheit. Kurzerhand wurden sie gesprengt, wenn einstige Fabrikgelände wie das Horn in Richterswil umgenutzt wurden. So gibt es am linken Seeufer nur noch wenige Kamine. In Horgen blieb das Kamin der ehemaligen Papierfabrik stehen. In Kilchberg ist das Hochkamin der Lindt & Sprüngli heute ein stolzer Zeuge der Schokoladenproduktion am Zürichsee.
Auch im einst stark industrialisierten Sihltal ist nur ein Kamin erhalten geblieben: Das Hochkamin auf dem Spinnerei-Areal in Langnau. Verschwunden sind auf diesen ehemaligen Industriegeländen auch die grossen Uhren, die den Arbeitstakt der Arbeiterinnen und Arbeiter bestimmten. Kreativwirtschaft und Forschung, die heute in den Fabriken eingemietet sind, kennen flexiblere Arbeitszeitmodelle.