Martina Hingis – 30 Jahre Spitze!

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Martina Hingis lebt seit vielen Jahren hier und fühlt sich zuhause. Im persönlichen Gespräch erfuhren wir viel über sie, ihre Karriere und ihren Bezug zum linken Zürichseeufer.

«Als Coach junge Spielerinnen weiterzubringen, macht mir grossen Spass.»

Martina Hingis

Martina Hingis, wir sitzen im Rathaus in Pfäffikon zum Interview, sag uns, wer bist du?
Eigentlich kennst du die Antwort fast besser als ich. Aber ich kann sagen: ich bin irgendwie in meinem Leben angekommen und es ist schön, auf das, was ich geleistet habe zurückblicken zu können. Auf eine tolle Sportkarriere. Heute steht die Familie und meine Tochter im Zentrum. Es macht Spass, sie aufwachsen zu sehen und ihr meine Erfahrungen aus dem Sport weitergeben zu können.

Was sind deine Stärken und Schwächen als Mensch?
Mein Leben war immer geprägt von Anpassungsfähigkeit, mein Job auf dem Tennisplatz verlangte immer, dass ich mich an neuen Orten und mit neuen Gegnerinnen auseinandersetzen musste. Das geht nur mit sehr viel Disziplin. Das war sehr wichtig, waren mir doch viele Gegnerinnen körperlich überlegen, was mich psychisch sehr herausforderte. Dazu kam die Belastung der ständig wechselnden Turnierorte rund um die Welt. Das haben wir (meine Mutter, Mario und ich – jede Person in ihrem Bereich), glaube ich, ziemlich gut gemeistert.

Was würdest du den gerne besser können?
Ich war schon sehr jung, als alles losgegangen ist. Ich hätte damals gerne mehr Erfahrung in der Medienarbeit gehabt. Wenn ich heute die jungen Spielerinnen sehe, werden sie doch etwas später Profis und kommen besser vorbereitet auf die Tour. Dafür gibt es jetzt bereits einige, welche auch als Mutter weiterspielen.

Was sind deine schönsten Erinnerungen und Highlights aus deiner Karriere?
Ich habe die Jugend schon auch schön gefunden. Man ist noch sehr unbeschwert und konnte mit offenen Augen durch die Welt gehen. Ich hatte das grosse Glück, dass meine Mutter mit mir immer auch neben dem Tennisplatz vieles angeschaut hat und mir so auch Einblicke ausserhalb des Profisports ermöglicht hat. Das hat mir so viele Eindrücke beschert, ich erinnere mich noch ganz zu Beginn meiner Karriere, wie meine Mutter einmal 6 Stunden mit mir zu Fuss durch London gestreift ist und ich so viele neue Sachen sehen konnte, die mir bis heute geblieben sind. Das gab mir die Möglichkeit, als ich älter war, das alles nochmals mit ganz anderen Augen anzusehen. Wenn man so jung ist, kann man das noch gar nicht richtig verarbeiten.

Kannst du dich noch an deinen ersten Sieg und deinen ersten Turniertitel erinnern? Was ist da noch präsent?
Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ich glaube aber es war Filderstadt (Turnier in Stuttgart, Anm. d. Redaktion). Dann habe ich Oakland gewonnen. Aber Filderstadt ist mir natürlich geblieben, weil man da einen Porsche gewinnen konnte, den ich noch gar nicht fahren durfte.

Wie war es für dich, als du mit dem Profi-Tennis aufgehört hast?
Ich habe ja mehr als einmal Anlauf genommen, als ich mich aber mit 37 wirklich zum Aufhören entschlossen habe, hat es für mich einfach gestimmt. Vorher war ich ganz offensichtlich noch nicht bereit dazu gewesen. Dass dabei noch so ein erfolgreicher Abschluss im Doppel herausgekommen ist, war gar nicht geplant und ist eher zufällig mit meiner Coaching-Tätigkeit bei Sabine Lisicki entstanden. Wir ergänzten das Training noch mit etwas lockerem Doppelspiel und haben gerade zu Beginn recht viel Erfolg gehabt. Schon das zweite Turnier haben wir zusammen gewonnen. Da dachte ich mir, das funktioniert. Das war ein Bonus und hat auch richtig Spass gemacht. Es braucht schon weniger Aufwand und wir konnten tolle Resultate erreichen.

Wie sieht heute ein normaler Tag für dich aus?
Die Prioritäten sind heute bei Lia, früher hat es sich um mich gedreht. Alle, meine Mutter, Mario und ich hatten sich auf die Karriere fokussiert. Jetzt ist Lia im Zentrum meines Tagesablaufs. Ich habe den Luxus, dass ich meine Coaching- oder Sponsorenaktivitäten gut darum herum organisieren kann. Ich freue mich aber auch auf die vielen kleinen Sachen, die ich mit Lia machen kann. Mit ihrem Grösserwerden kommen immer wieder neue Aktivitäten dazu. Ich versuche meine Tochter polisportiv aufwachsen zu lassen, wir spielen viel oder schauen uns 7 «Büechli» an. Ich stelle mich gerne auf sie ein. Es ist schön, zu sehen, wie sie sich weiterentwickelt. Ich geniesse diese Herausforderung.

Martina Hingis

Seit 30 Jahren Spitze

• Tennisprofi 1993 bis 2017
• Während 4 Jahren die Nummer 1 der Weltrangliste
• 25 Grandslam Titel, 5 im Einzel, 13 Doppel und 7 im Mixed

Mehr Informationen über Martina Hingis findet man bei Wikipedia: Martina Hingis

Beruf «Tennisprofi»

Wie wird man Tennisprofi?
Bei mir war das schon sehr vorgegeben, was ja häufig so ist, dass die Eltern einem in eine Richtung bewegen. Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie mich dazu gebracht hat. Ich gehe auch heute noch gerne Tennisspielen. Es war eine tolle Lebensschule.

Was sind die grössten Herausforderungen für eine junge Tennisspielerin?
Der Sport ist viel breiter geworden. Physisch sind die Anforderungen schon lange hoch, jetzt hat es aber einfach viel mehr Konkurrenz. Das Turnier beginnt mit dem ersten Match, wenn man da nicht alles gibt, ist man schon draussen. Heute kann einem fast jede schlagen. Das braucht mehr Kraft als früher. Obwohl ich sagen muss, es gibt immer noch Spielerinnen, die einfach etwas besser sind als die anderen. Wie zum Beispiel auch ein Marco Odermatt beim Skifahren. Man muss sicher auch im Training schon 100 % geben, so ein bisschen «Lari-Fari» geht einfach nicht. Ohne an die Grenzen zu gehen, ist man in den Matches nicht bereit. Es braucht aber auch ein gutes Umfeld.

Warum lohnt es sich Tennisprofi zu sein?
Die Preisgelder sind heute schon attraktiv. Damit das aber so auch bleibt, braucht es auch die Idole, welche den Sport in der breiten Öffentlichkeit interessant machen. Die laufenden Wechsel an der Weltranglistenspitze sind eher ein Nachteil. Aber es zerrt eben auch an den Kräften, wenn man zum Beispiel Barty (Anm.  d.  Redaktion: Ashley Barty, australische Weltnummer  1 ab 2019, überraschender Rücktritt  2022) sieht, die jung auf der Spitze ihrer Karriere den Sport verlässt.

Was hat dich so erfolgreich gemacht?
Mein Spielwitz und die Allrounder-Fähigkeiten. Ich war ja nicht die Stärkste und Schnellste und musste daher anderes besser können. Ich habe einfach häufig vorausgesehen, was als nächstes passiert.

Was hättest du gerne besser gekonnt?
Tennissportler sind in der Regel Spieler. Aber es gibt auch Arbeiter, welche es mit Technik und Fleiss weitbringen. Wenn dir das fehlt, musst du es eben anders versuchen. Bei uns war das immer spielerisch. Meine Mutter hat früh gemerkt, dass ich im Gym nicht die Beste bin und hat es mit anderem versucht, Inline-Skating, Biken oder Boxen. Boxen finde ich heute noch etwas vom besten, für alle Sportarten. Du hast Ausdauer, Sprungkraft und Schnelligkeit. Sie hat immer wieder etwas für mich gefunden.

Was hat sich aus deiner Sicht im Profisport heute verändert?
Heute braucht es ganze Teams, um erfolgreich zu sein. Wir waren meist nur zu dritt oder allenfalls noch ein Sparring-Partner. Mir scheint, dass dies schon recht auf die Spitze getrieben wird, was aber vielleicht auch nötig ist.

Würdest du heute nochmals Tennisprofi werden?
Ja, ich hatte und habe ein Superleben und würde das nicht eintauschen wollen. Ich konnte dank dem Tennis so viele Menschen kennenlernen, die ich sonst nie getroffen hätte. Heute ist es sicher auch anspruchsvoll, weil mit Social Media so viel über einem bekannt wird.

Die Berufszeit als Spitzensportlerin ist relativ kurz, was kann man nach einer erfolgreichen Tenniskarriere Interessantes machen?
Eben, darum muss man in der kurzen Zeit richtig Gas geben. Ich habe das Glück, dass ich im Tennis-Umfeld als Coach weiterwirken kann. Mir macht auch das kommentieren Spass, was aber nicht alle machen können, weil es nicht so viele Möglichkeiten gibt. In der Schweiz ist es ja so, dass viele Sportler auch noch eine Berufsausbildung haben, auf die sie allenfalls nach der Karriere wieder zurückgreifen können. Mit dem Sport-Bonus gibt es da meist gute Möglichkeiten.

Was gibst du jungen Sportler:innen mit auf den Weg, um ganz an die Spitze zu gelangen?
Alles zu geben, was es braucht. Man muss einfach Spass daran haben und es gerne machen. Und tägliche Arbeit, Disziplin und den Willen etwas zu erreichen. Denn wenn du aufstehst und dich darauf freust, fällt die Anstrengung sicher einfacher. Es braucht Lust auf das Training.

Hast du heute noch Kontakt zu Spielerinnen aus deiner Zeit?
Ja, vor allem an den Legendenturnieren, wenn man sich da wieder sieht. Ich habe aber auch immer noch regelmässig Kontakt mit Mary Pierce und Iva Majoli  – alle die mich mal am French Open in Paris geschlagen haben (lacht) – aber auch Barbara Schett und Monica Seles. Man hat ohne die Konkurrenz auch einfacher Zugang. Es ist schön, wenn man sich wieder einmal sieht.

Zur Region

Du bist schon lange in unserer Region zuhause? Was gefällt dir besonders
gut hier? Und was vermisst du?
Mir gefällt die Vielseitigkeit der Region und die Nähe zu so viel verschiedenen Möglichkeiten. Du hast die Grossstadt in der Nähe und dennoch bist du schon irgendwie auf dem Land. Gerade mit Tieren kann man einfach raus. Oder man ist in 15 Minuten auf der Skispiste. Es gibt so viele Angebote.

Was hat sich am stärksten verändert?
Das ist eine schwierige Frage, es hat viel mehr Menschen, das ist aber nicht nur hier so. Zudem ist die Bevölkerung noch internationaler geworden.

Du warst auf der ganzen Welt unterwegs und hast viele Orte gesehen, was ist für dich das Besondere am linken Zürichseeufer?
Bei uns gibt es eine hohe Sicherheit und ein doch sehr gutes Schulsystem. Das ist nicht selbstverständlich und gefällt mir sehr gut. Hier kann Lia einfach in den Kindergarten gehen.

Welche sind deine Lieblingsplätze in der Region?
Der See, da gehen wir immer gerne in die «Hundebadi» oder zum Spazieren in den Rossberg. Aber eigentlich auch Neusell und s’Brunni zum Skifahren, wenn es genug Schnee hat. Mir gefällt Rapperswil auch sehr gut.

Was gefällt denn dir besonders gut hier?
Die Möglichkeit in eine tolle, internationale Stadt gehen zu können – aber nicht zu müssen, weil es sonst so viele Alternativen gibt. See und Berge, alles direkt vor der Haustür.

Wenn du drei Stichworte zur Charakterisierung der Region nennen musst, was kommt dir da spontan in den Sinn?
Internationalität, Mischung Agglo und Stadt, Verkehrsanbindung – in einer Stunde bin ich am Flughafen und kann überall hin genauso wie in 15  Minuten mitten in der Natur.